Verfasst von: moeltner | August 27, 2007

Taxi Driver

Originaltitel: Taxi Driver
USA, 1976, 113 min

Der verschluckte Mensch

Awake again I can’t pretend and I know I’m alone
And close to the end of the feeling we’ve known

How long have I been sleeping
How long have I been drifting alone through the night
How long have I been dreaming I could make it right
If I closed my eyes and tried with all my might
To be the one you need *

Wie ein U-Boot gleitet das Taxi durch ein Wolkenmeer. Risse im Dampf. Am Grund des Meeres. Die Schluchten des nächtlichen New York. Aus den Kanaldeckeln wachsen Ungeheuer von Nebel. Wassergüsse, Farbschlieren ziehen über die Scheiben. Auf dem Gesicht des Taxifahrers die wechselnden Lichter der Neonreklamen. Die unbeständige, die bunte Haut der Leere. Die Welt zerfließt, bis in ihre psychedelische Auflösung. Ein böser Trip dieses New York, ein giftiger Rausch. Eine Taxi-Fahrt, die nie ans Ziel kommt. Travis Bickle im Labyrinth des Molochs. Der Schlaflose, solange er nicht verrückt wird, träumt bei der Arbeit. Travis träumt von Tieren, die abends erwachen, aus ihren Löchern kommen. Abschaum, der für ihn weggespült gehört.

Ein böser Traum: Dieses New York, das sich prostituiert. Auch Betsy, die Wahlkampfhelferin, tut das, und sie weiß es. Ihre politische Arbeit ist Waschmittelwerbung. Inhalte, Ziele, Ideale spielen keine Rolle. Travis spürt, dass sie unglücklich ist, dass ihrem Leben etwas fehlt. Der Verlorene erkennt Seinesgleichen, doch ist er „Gottes einsamster Mann“, weil er als einziger das Verhängnis zu sehen scheint, das auf der Stadt, dem Land lastet. Travis ist der traurige Rest einer Selbstreflexion. Er ist New York, er ist die USA. Er erlebt den Schmerz in seinem Kopf. Und er kann nicht wegsehen, nicht schlafen.

Was die Politik offenbar aufgegeben hat, treibt ihn noch an: Veränderung. Irgendwie. Er will sich wehren gegen das Siechtum draußen – das Siechtum in ihm selbst. Er wehrt sich auf die einzige Art, die ihm beigebracht wurde. Professionell. Mit Waffengewalt. Travis kommt aus Vietnam und er bringt Vietnam nach New York. Wie sehr sich „Apocalypse Now“ und „Taxi Driver“ doch ähneln! Martin Sheen und Robert De Niro sind unheilbar krank von Anfang an, beide kriegen einen Job, der sie auf einem Boot/Taxi durch eine menschengemachte Hölle führt. Alles da draußen ist gefährlich und unberechenbar. In Vietnam löst ein normaler Gemüsekahn Paranoia aus, in New York ist jeder ein potentieller Verbrecher oder Killer. Worauf Travis auch zielt, überall ist der Feind. Und nirgends.

Der Fernseher, der die Zeit bannt, der die Wirklichkeit in sich hinein saugt und sie löscht. Tanzende Pärchen und das Lied von Jackson Browne: „Awake again I can’t pretend and I know I’m alone / And close to the end of the feeling we’ve known“. Die große Resignation. Liebe ist nicht möglich mit Menschen, die aus Plastik sind. Die vom Fernseher verschluckte Liebe: Sie implodiert, wenn du sie ein bisschen umkippen läßt.

Travis in New York City, der Geburtsstätte des Punk, zeitgleich in der Mitte der Siebziger. Im New Yorker Club CBGB’s spielten die Ramones, als „Taxi Driver“ gedreht wurde. Travis als erster Punk des Kinos? Erster Irokesenschnitt jedenfalls, und Durchdrehen, Rebellieren, ohne noch wirklich zu wissen, wogegen. Die lähmenden Siebziger, die KOMA und AMOK hervorbringen.

Wenn er Iris „rettet“, indem er ihre(n) Zuhälter tötet, dann ist das sein Versuch, sich von sich selbst zu befreien. Der amoklaufende Serienmörder als der verhinderte Selbstmörder. Seine Wahl ist so beliebig, wie sie falsch ist, aber jede Wahl wäre das. Das Problem ist substanziell. Innen ist Außen ist Innen. Die Wirlichkeit hat vor sich selbst kapituliert, die Gesellschaft spielt sich selbst, ein hohles Ritual, keine Bedeutungen, keine Ziele mehr. Und wenn Bernard Herrmann seine letzte musikalische Elegie hören lässt, gerinnen die vierziger, fünfziger, sechziger Filmjahre zu einem Furioso aus film noir und New York und Jazz, eine lange Geschichte des Kinos ist enthalten in dieser, einer der besten Filmmusiken überhaupt. Alles ist tot und still und für diese lange Kamerafahrt von oben (von da, wo Gott nicht mehr sehen mag, was er sieht) ließ Scorsese extra die Decken aus einem Haus brechen. Das Blut war so blutrot, dass den Zensoren nur eine Verdunkelung der kompletten Schlüsselszenen statthaft war – die Originale gibt’s nicht mehr, und so auch keinen Director’s Cut. Nur in der Verdunkelung (und da sind wir wieder auch beim Krieg) blieb „Taxi Driver“ gesellschaftsfähig. Aber diese Einfärbung des Materials nimmt nichts von der überirdischen und traurigen Magie der Szene, wenn der waidwunde Robert De Niro auf dem Puff-Sofa sitzt, mit dem blutstropfenden Zeigefinger an seine Schläfe zeigt und mehrmals „pfchhhh“ macht.

Überhaupt ist das Gute an De Niro, dass er noch nicht De Niro ist. Es ist alles noch offen und möglich für diesen jungen Schauspieler, der später – so sehr er noch beteuerte, er könne auch ein Schnitzel spielen – sich immer nur als De Niro besetzen ließ. Vielleicht waren es Leute wie Coppola („Der Pate 2″), aber vor allem Leone („Es war einmal in Amerika“), die ihn nachhaltig zu dem konservativen Macho-Patriarchen formten, zu dieser De Niro-Rolle, auf der er sich jahrzehntelang ausruhen konnte, und wohl auch wollte – ob als Gangster oder Cop oder schließlich auch als Schwiegervater. Wie eintönig er in den Achtzigern wurde, und wie doch ziemlich unsymphatisch! Wir erkennen diesen De Niro-Standard immer wieder, aber es scheint beinahe vergessen, welch wirkliche Klasse dieser Mann mal hatte. In „Taxi Driver“, in „Wie ein wilder Stier“, in „King of Comedy“ aber auch – ein seltener, später Glücksfall – in Tarantinos „Jackie Brown“ traut er sich noch, unerprobte Gesichter aufzusetzen. Die Klasse (Lebensnähe, Klischeeferne) des jungen De Niro lag in seiner Unberechenbarkeit, in seiner Neurotik, Psychotik und seiner Paranoia. Niemand hatte für dieses Talent ein besseres Gespür als Martin Scorsese. Gemeinsam schafften Scorsese und De Niro vibrierende, widersprüchliche, rauhe Meisterwerke. Die besten De Niro-Filme waren immer auch die besten Scorsese-Filme – und umgekehrt. Welch trauriger Irrtum von Scorsese, Leonardo Di Caprio auch nur für annähernd ebenbürtig zu halten und ihm nun schon in zwei Filmen („Gangs of New York“, „Aviator“) die Hauptrolle zu geben. Mediokres Hollywoodkino ist das Ergebnis (leider nicht nur wegen Di Caprio), ohne den früheren Mut zu den großen Ambivalenzen, zu den verdichteten Visionen einer amerikanischen Phänomenologie und ohne Scorseses alten künstlerischen Instinkt.

Am Schluss ist der Amokläufer ein Held. Sein letztes bizarres Umsichschlagen deutet sich der komatöse Organismus um zum Indiz seiner Gesundheit. Unwirklich die letzten Szenen. Endgültig unwirklich und unheimlich ist diese Welt geworden. Der Furchtbare weist den Weg, doch keiner fragt, wieso. Die Rechtfertigung der neuen Ordnung liegt allein darin, dass es sie gibt. Nichts ist normal an dieser Normalität, aber niemand mehr nimmt davon Notiz – und der letzte, fatal irrende, Rebell ist vollintegriert. Eine merkwürdig irreale Stadt, mit Menschen, die ihr Leben spielen, ohne zu wissen, wozu. Eine Oberfläche, die keine Richtung mehr kennt, austauschbare Figuren, keine Individuen mehr. Das Ende der Rebellion, das Ende der Aufklärung, das Ende der Moral. Die Beliebigkeit hat den Menschen verschluckt. „Taxi Driver“ endet so, wie David-Lynch-Filme beginnen: Eine böse, eine von Gott verlassene Welt, die nur noch von sich selbst träumen kann. Es bleibt keine Wahl mehr. Das Grauen ist immer da, wo es keine Alternative mehr gibt.

Andreas Thomas [Andreas Thomas ist Herausgeber von filmzentrale.com]

*Jackson Browne: „Late for the Sky“

Darsteller:
Robert De Niro – Travis Bickle
Cybill Shepherd – Betsy
Peter Boyle – Wizard
Jodie Foster – Iris Steensma
Harvey Keitel – ‚Sport‘ Matthew

Regie:
Martin Scorsese

Drehbuch:
Paul Schrader

Kamera:
Michael Chapman

Musik:
Bernard Herrmann

 

Verfasst von: moeltner | August 27, 2007

Hotel Ruanda

GB/Italien/Südafrika, 2004 – 121 Minuten

„Dieser Film ist nichts für schwache Nerven.“

So in etwa beginnen nicht wenige Filmbesprechungen. Dem Verfasser dieses Artikels jedenfalls drang sich diese Phrase bereits nach 15 Minuten Laufzeit auf. Und während die Welt in „Hotel Ruanda“ immer mehr in das mörderische Chaos abglitt, mit dem man dieses Land assoziiert, so musste sich der Verfasser immer mehr eingestehen, dass diese Worte für Terry Georges neuesten Film nicht ausreichen. Bei weitem nicht ausreichen.
Man weiß natürlich, auf was man sich einlässt, wenn man in diesen Film geht. Man kennt die jüngste Geschichte, man kennt die Bilder, die viel zu spät in unser Bewusstsein gedrungen sind, und man hat zumeist auch schon etwas über den Film selbst gehört.

Terry George hat, wie er immer wieder betont, auf Gewaltszenen verzichten wollen. Wie hätte er einen so unbegreifbaren Massenmord auch darstellen wollen? Das Grauen wird zum größten Teil nur angedeutet, doch bleibt es für den Zuschauer noch lange nach dem Ende des Films schlicht unfassbar. Wenn die letzten UN-Truppen die Menschen in Ruanda einfach ihrem Schicksal, sprich dem sicheren Tod, überlassen, wenn ein Autofahrer im lichtenden Nebel erkennt, dass er nicht auf der Straße, sondern auf Leichen fährt, wenn schließlich ein Hutu-General erklärt, problemlos alle Tutsi auslöschen zu können, da die Hälfte ja schon getan sei. Dann ist der Zuschauer hilflos, verlassen von allen Worten, Schubladen oder Klischees, in die er diesen Film einordnen, ihn verstehen könnte.

Aber es gibt nicht nur Schrecken in diesem Film. Das tierische Morden kann die Menschlichkeit nicht auslöschen. Hinter all dem blutigen Treiben ist immer noch tiefes Mitgefühl, Liebe, sowie die Bereitschaft, sich für andere zu opfern. Paul (Don Cheadle) ist ein wohlhabender Manager eines Nobelhotels in Kigali. Er macht Geschäfte mit Politikern und dem Militär, aber bleibt dabei immer geschäftlich-neutral. Er ist Hutu, seine Frau ist Tutsi. Als der Wahnsinn beginnt, steht er durch diese Ehe zwischen den Fronten. Angetrieben von einem Verantwortungsbewusstsein, das seine Grenzen sucht und nirgendwo zu finden scheint, und einem Gefühl von persönlicher Schuld, wächst er über sich hinaus und bietet über tausend Tutsi-Flüchtlingen Schutz in seinem Hotel, den ihnen die UNO nicht gewähren wollte. Nie lässt er, und mit ihm auch Regisseur Terry George, uns vergessen, dass selbst hier, in einer von Völkermord durchzogenen Hölle, noch Hoffnung ist. Sein unbeirrbarer Glaube daran, und sein erstaunlicher Einfallsreichtum machen aus dieser Geschichte mehr als nur die Dokumentation eines Genozids oder gar eine Anklage an die übrigen Welt. Es ist ein Film der überrascht, rührt, der schockiert und der schließlich auch mitreißt. Aber es ist noch viel mehr, und dieses Mehr lässt sich nur durch den Film selbst erfahren.

Stefan Hirt

Darsteller:
Don Cheadle – Paul Rusesabagina
Nick Nolte – Colonel Oliver
Sophie Okonedo – Tatiana Rusesabagina
Joaquin Phoenix – Jack Daglish
Cara Seymour – Par Archer

Regie:
Terry George

Drehbuch:
Keir Pearson & Terry George

Kamera:
Robert Fraisse

Musik:
Jerry ‚Wonder‘ Duplessis (original music)
Rupert Gregson-Williams
Andrea Guerra
Martin Russell

Verfasst von: moeltner | August 27, 2007

Star Wars: Episode III- Die Rache der Sith

Originaltitel: Star Wars: Episode III – Revenge of the Sith
USA, 2005, 140 min, FSK 12

Eine schwierige Frage: Wo auf der Welt könnte man möglicherweise der momentan durch alle Medien donnernden Werbemaschinerie für „Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith“ entgehen? Möglicherweise im Himalaja. Oder auf der ISS. Oder im Big Brother Dorf. Doch so ganz sicher dürfte man sich wohl bei keiner der Möglichkeiten sein. Witzigerweise sind es meistens gerade die Fans, die Auswüchse wie „Star Wars“ Figuren als Aufdruck auf Küchenrollen mit einem Seufzen und einem leichten Achselzucken ignorieren. Die eingeschworenen Fans haben sich schon längst von der Marketingstrategie abgekoppelt. Die bewirbt derweil auch den neuen Teil als Familienereignis – in Deutschland geadelt durch das Prädikat „besonders wertvoll“. Erstaunlich für einen Film, der doch nach Bekunden von George Lucas selber der Düsterste der gesamten Trilogie sein soll. Und da es noch eine Menge lose Fäden zusammenzuknüpfen gilt, fackelt der Regisseur und Drehbuchautor nicht lange und schubst den Zuschauer direkt zu Beginn des Filmes in eine gigantische Weltraumschlacht. Völlig geplättet von diesem Effektspektakel folgt der Zuschauer nun der mitunter recht komplizierten Hintergrundgeschichte, deren Ende deterministisch festliegt: Aus dem ambitionierten Jedi Anakin Skywalker (Hayden Christensen) wird Darth Vader, das ultimative Böse. Ach ja, und wie der Imperator der Imperator wurde, (das noch viel ultimativere Böse) erfahren wir auch noch.

Doch ganz so einfach ist die Sache natürlich nicht. Denn auf der Checkliste von George Lucas steht ja auch sonst noch einiges:

* Löse einen intergalaktischen Konflikt, die so genannten Klonkriege.
* Gehe auf die immer schwierigere Beziehung zwischen Padmé Amidala (Natalie Portman) und Anakin Skywalker ein.
* Zeichne die Entwicklung von Kanzler Palpatine (Ian McDiarmid) weiter.
* Erläutere, warum in Episode IV die Jedis auf so verlorenem Posten kämpfen, wo sie doch in Episode I und II noch soviel Macht und Einfluss haben.
* „Versorge“ diverse Nebenfiguren wie Mace Windu (Samuel L. Jackson), Count Dooku (Christopher Lee) oder den neu eingeführten Droidengeneral Grievous.

Man sieht, jede Menge Stoff – selbst für 140 Minuten. Wo gehobelt wird, da fallen Späne, was unter anderem dazu führt, dass Count Dooku zielmlich rabiat aus der Story hinaus- und General Grievious in die Story hineinbefördert wurde. Doch irgendwie schafft es George Lucas dann tatsächlich, all die Handlung in knapp 2 ½ Stunden unterzubringen und den gespannten Fans dann auch noch das große Finale zwischen Anakin Skywalker und seinem Lehrer Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor) zu bieten.

Vieles wurde bereits im Vorfeld über Episode III geschrieben. Vieles davon ist völlig richtig.

Ja, Episode III ist der düsterste Star Wars Film. Hier wird gelitten, getrauert und sehr viel gestorben. Die Altersfreigabe ab 12 ist hier unbedingt angebracht, denn spätestens das Finale ist Kinderaugen nicht mehr zuzumuten.

Ja, Episode III ist eindeutig der beste Teil der „neuen“ Trilogie. Man hat das Gefühl, das George Lucas endlich an der Stelle angekommen ist, die er eigentlich erzählen will. Furiose Parallelkonstruktionen, eine atemberaubende Optik und vor allem ein extensives Räsonieren über Schicksal und Bestimmung – all dies sind Zutaten für einen durchaus unterhaltsamen Kinoabend.

Ja, es gibt bestimmte Schwächen, auf die bereits vielfach hingewiesen wurde: Die Dialoge als hölzern zu bezeichnen, wäre eine freundliche Untertreibung. Gerade von Romanzen sollte George Lucas in Zukunft die Finger lassen (oder jedenfalls nicht allein für das Drehbuch verantwortlich zeichnen). Die Dialoge zwischen Anakin und Padmé treiben dem Zuschauer je nach Gemütslage die Tränen in die Augen oder lassen ihn in manisches Dauergrinsen verfallen. Zudem wirkt die gesamte Story ein wenig überfrachtet. Etwas mehr Laufzeit oder eine etwas abgespeckte Geschichte wäre hier nicht schlecht gewesen.

Doch all dies dringt nicht zum Kern dieser Rezension vor. Im Verlaufe der ersten beiden Episoden machte sich beim Rezensenten ein Unwohlsein breit, dass aber nie genau auf den Punkt gebracht werden konnte. Erst jetzt, in Episode III hat sich dieser Knoten gelöst. Er lässt sich auf eine erschreckend simple Formel bringen: Ich will das eigentlich gar nicht sehen.

Der Charme der „Originaltrilogie“ entstand vor allem daraus, dass es sich um eine „Space Opera“, ein Märchen im Weltraum handelte. Dies war nach den Science-Fiction Filmen der 70er ein äußerst origineller Ansatz. So folgte George Lucas in seinem Figureninventar und den Grundpfeilern der Dramaturgie klassischen Märchen-Mechanismen. Das bedeutet auch, dass die Rollen in „Star Wars“ klar verteilt waren: Auf der einen Seite die Mächte des Lichts, auf der anderen Seite die der Dunkelheit. Dazwischen ein junger Held, der sich entscheiden muss. Dass am Ende der Trilogie einer Schlüsselfigur der „dunklen Seite“ die Absolution erteilt wird, ist ein durchaus charmantes Kratzen an den Rahmenbedingungen des Genres.

Doch mit der neuen Trilogie überschreitet Lucas eine Grenze, die nach Meinung des Rezensenten nicht hätte überschritten werden dürfen, weil sie die Kraft des Originals banalisiert. Lucas will uns unbedingt erklären, warum das Böse zum Bösen wurde. Doch will man das wissen? Darth Vader ist böse. Punkt. Innerhalb der Erzählwelt eines Märchens sind weitere Erklärungen nicht nur überflüssig, sondern schädlich. Man stelle sich vor: Eine Version von Hänsel und Gretel, in der wir erst einmal die traurige Vorgeschichte der bösen Hexe erfahren, die als Kind von einem sadistischen Bäcker während der Ausbildung gequält wurde. Verrückte Vorstellung?

Genau das aber macht George Lucas. Denn letzten Endes läuft der Erklärungsansatz darauf hinaus, dass Anakin Skywalker das ultimative Böse wurde, weil er
a) eine schwere Kindheit hatte.
b) seine Mutter nicht vor bösen Menschen (bzw. „Wesen“) schützen konnte.
c) er dann auch die Frau, die er liebt, zu verlieren droht.
Dies macht aus dem ultimativen Bösen plötzlich eine erschreckend banale Figur, der irgendwie der „Glamour“ der dunklen Macht abhanden geht. Und das gilt sogar dann, wenn man den grundsätzlichen Ansatz des „Erklärungsversuches“ goutiert. Selbst wenn man mit den Rahmenbedingungen, die Lucas für seine neue Trilogie gesteckt hat, einverstanden ist, dürfte die Lösung bei genauerem Hinsehen – also wenn man sich vom auditiven und visuellen Sperrfeuer erholt hat – enttäuschen: Erschreckend simpel ist es da, aus dem zugegebenermaßen arroganten Jedi Skywalker einen Eiferer der dunklen Seite zu machen. Doch was ist denn nun mit den jahrzehntelang beschworenen „Verlockungen der dunklen Seite“? Sind sie dem familienfreundlichen Appeal der Serie geopfert worden oder ist George Lucas schlicht und ergreifend nichts eingefallen? Wie man es auch drehen und wenden mag: Die Filmwelt wäre auch ohne die neue Trilogie ganz gut ausgekommen. Was bleibt ist modernes, zielgruppenorientiertes Unterhaltungskino mit echten Schauwerten – aber ohne Charme.

Nun ja, das ist natürlich nicht ganz richtig. Zum Glück gibt es ja R2-D2.

Darsteller:
Ewan McGregor – Obi-Wan Kenobi
Natalie Portman – Padmé
Hayden Christensen – Anakin Skywalker
Ian McDiarmid – Kanzler Palpatine
Samuel L. Jackson – Mace Windu
Jimmy Smits – Senator Bail Organa
Frank Oz – Yoda (Stimme)
Anthony Daniels – C-3PO
Christopher Lee – Count Dooku

Regie:
George Lucas

Drehbuch:
George Lucas

Kamera:
David Tatersall

Musik:
John Williams

Verfasst von: moeltner | August 27, 2007

Garden State

Originaltitel: Garden State
USA, 2004, 102min, FSK 12

„Was hörst du da?“ fragt der etwas verschüchterte Typ das Mädchen mit den Kopfhörern. „The Shins. Kennst du die? Mann, diesen Song musst du hören, der verändert dein Leben.“ Bei dem Song handelt es sich um „New Slang“ und bei der Szene um den Beginn einer ungewöhnlichen Lovestory zwischen zwei, nennen wir sie mal neudeutsch „Freaks“, die sich so sehr ergänzen, dass man sich fast schon wünschen möchte, sie hätten sich schon ihr ganzes Leben gehabt. Aber nur fast, denn in diesem Fall würde es wohl diesen Film nicht geben, und genau das will man sich eben nicht wünschen mögen.

Der Junge hört sich den Song an, kurz, nimmt die Hörer wieder runter, gibt sein „Ist gut“ ab. Hätte er doch nur weiter zugehört. Denn dieser Song handelt von ihm, Andrew Largeman (Zach Braff), dem twenty-something, der irgendwo zwischen Vergangenheit und Gegenwart hängt, der verlorene Sohn, der keine Heimat mehr hat, zu der er zurückkehren kann. „Abschied nehmen ist wichtig“ sagt ihm sein Vater (Ian Holm). Gerade eben ist Largemans Mutter beerdigt worden, eine Querschnittsgelähmte, irgendwie in der Badewanne ertrunken. Neun Jahre war Largeman nicht mehr in seiner Heimatstadt in New Jersey, dem Garden State, und was in ihm vorgeht, als er zum ersten Mal nach langer Zeit wieder auf seinem Motorrad fährt oder auf alte Schulkameraden trifft, wir wissen es nicht, und er wohl ebenso wenig. Wie die Eingangsszene bereits deutlich macht ist Largeman nie so ganz hier mit seinen Gedanken, beinahe verloren blicken seine großen Augen hinaus in die Welt, als würden sie ihr tausende Fragen stellen, aber schon gar keine Antworten mehr erwarten. Sie überfordern ihn, diese seltsame Welt und ihre manchmal noch seltsameren Bewohner, deshalb verhält er sich still, unauffällig, und in solchen Augenblicken erscheint er uns dann ganz hilflos.

„Abschied nehmen ist wichtig“ sagt ihm sein Vater, aber die Chance dazu hat er ihm nicht gegeben. Mit 16 Jahren wurde Largeman, beladen von Schuldkomplexen und betäubt von Antidepressiva, die er von seinem Vater, zu allem Überfluss noch ein Psychologe, verschrieben bekommen hatte, ins Internat geschickt – ohne irgendwie Abschied nehmen zu können. Seitdem ist die Vergangenheit wie ein Geist, der ihm auf Schritt und Tritt folgt, eine mentale Blockade, ja wie ein Fenster zur Welt, das für ihn verschlossen ist. Und der Schlüssel zu diesem Fenster liegt im Grab seiner Mutter. Largeman selbst scheint das zu ahnen, als er bei einem nächtlichen Bad seiner neuen Bekanntschaft Sam (Natalie Portman) erklärt, dass man nur dann eine neue Heimat finden kann, wenn man mit der vorhergehenden abgeschlossen habe. Ihm kann das allmählich klar werden, weil er auf eigene Faust die Antidepressiva, unter deren Einfluss er sich seit Jahren nahezu ständig befindet, abgesetzt hat. Anstatt ihm zu helfen haben sie ihn der Welt entfremdet, nahmen ihm mit dem Schmerz auch sämtliche weiteren Emotionen, bis er schließlich so abgestumpft war, dass er bei der Nachricht vom Tod seiner Mutter nicht einmal mehr weinen konnte.

Wie gut aber, dass er auf Sam trifft. Sie ist sozusagen das Gegenteil von ihm, lebenslustig, impulsiv, ein wenig ausgeflippt und was das wichtigste ist, nicht in der Lage, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Als Largeman ihr vom Tod seiner Mutter erzählt, weint sie bitterlicher als alle Gäste der Beerdigung zusammen. Dieses Gegensatzpaar mag auf den ersten Blick ziemlich platt erscheinen, und tatsächlich bekommt man in den ersten Szenen mit Sam das Gefühl, dass hier wohl allzu sehr ein Klischee bemüht wird, doch gelingt es der umwerfend süßen Natalie Portman im weiteren Filmverlauf auch den kritischsten Zuschauer von der Originalität ihrer Rolle zu überzeugen. Eine Originalität übrigens, die auch ihrem Charakter Sam am Herzen liegt: wenn sie sich zu bedrückt fühlt, dann stößt sie ohne Rücksicht auf Peinlichkeit irgendwelche spontanen Laute aus, die ihr zufolge so noch niemand gemacht hat, und hat damit ihre Einzigartigkeit gegenüber der Welt wiederhergestellt. Es sind solche kleinen „Macken“, die Largeman schließlich aus seiner Lethargie befreien können. Das wiegt umso mehr, als die Stadt um sie herum ein Reich der verlorenen Träume, verpassten Chancen und des Selbstbetrugs ist. Sam ist eine notorische Lügnerin, aber wenigstens ist sie sich darüber im Klaren, und ihr schlechtes Gewissen treibt sie dazu, die Lüge auch sofort zu gestehen. Doch die Menschen in dieser Stadt merken nicht einmal, dass sie sich etwas vormachen. Sie alle warten auf ihren großen Zeitpunkt, und bis dahin halten sie sich mit irgendwelchen Jobs über Wasser (einer von Largemans Schulfreunden arbeitet als „Fast-Food-Ritter“ bei einer Mittelaltershow). „Ich bin erst 26. Ich habs nicht eilig“ hört man Largemans Kumpel Mark (Peter Sarsgaard) Bong-rauchend murmeln. Sein leerer Blick dabei scheint jedoch etwas anderes zu sagen. Und Mark gehört noch zu den Lichtblicken in dieser Stadt.

Einer, der es geschafft hat ist Gleason. Der hat irgendwie einen geräuschlosen Klettverschluss hergestellt und ist nun stinkreich. Doch was er mit dem Geld anfangen soll weiß er nicht. Er haust in einer riesigen Villa ohne Möbel, schmeißt Parties und versorgt seine Gäste mit Drogen. Ansonsten ist ihm ständig langweilig, erklärt er Largeman. Auch dem schwatzt er eine Ecstasy-Pille auf, aber die einzige Wirkung der Droge ist lediglich ein leicht-dämliches Grinsen. Die Menschen in Largemans Heimatstadt leben alle in einer unbestimmten Zukunft, die sich wahrscheinlich nie erfüllen wird. Er selbst lebt in einer Vergangenheit, die er im fernen Los Angeles eigentlich verleugnen will. „Mir hat es schon immer Spaß gemacht, in andere Rollen zu schlüpfen“, gesteht er Sam und spielt damit auf gelegentliche Fernsehauftritte als Schauspieler an. Seine Flucht vor der Vergangenheit ist eine Flucht letztendlich vor sich selbst. Sam steht genau zwischen beiden Positionen und entpuppt sich dadurch als Glücksfall für ihn. „Das Leben ist hier und jetzt“ ist ihre Philosophie, und man muss aufpassen, dass man es nicht verpasst. Und: Schmerz ist wichtig. Denn er gehört doch auch zum Leben.

Die beiden wachsen einem schnell ans Herz, Sam durch ihre ehrliche Impulsivität und Largeman einfach durch die Art, wie er in fast jeder Szene völlig fehl am Platze wirkt. Zach Braff aus der Comedy-Serie „Scrubs“ ist hier allerdings nicht nur ein guter Schauspieler, von ihm stammt auch das Drehbuch, und sogar die Regie hat er selbst geführt. Selbst ein Schauspieler aus New Jersey, ist es gut möglich, dass er für den Film viele autobiographische Erfahrungen verwertet hat. Womöglich wollte er auch den Shins, seiner Lieblingsband, ein Denkmal setzen, indem er ihren bis dato größten Hit in einen Film verwertet. Überhaupt ist es vor allem der Soundtrack, der heraus sticht (und übrigens 2004 einen Grammy gewonnen hat): sanfter Indie-Gitarrensound gesprenkelt mit Songwriter-Balladen. Coldplay sind vertreten, The Shins natürlich, Nick Drake, Iron and Wine mit einem Cover der neuen Indie-Helden The Postal Service, und Simon and Garfunkel untermalen mit „The only living boy in New York“ die wahrscheinlich schönste Szene des ganzen Films.

An sich tue ich mich schwer damit, Bestnoten zu vergeben. Dieser Film wird wohl kein Klassiker werden a la Citizen Kane, er ist kein Meisterwerk im Stile eines Paten, aber ich bin mir sicher, dass er zu den besten Filmen des Jahres gehört und deswegen eine 1- verdient hat. Schien er mir beim ersten Sehen noch einige geringe Schwachstellen zu besitzen, so wurden diese bei einer zweiten Sichtung am darauf folgenden Tag weitgehend ausgeräumt. Lediglich gegen Ende hin lässt sich ein leichter Hang zum Kitsch ausmachen, was mir aber als eine notwendige Folge des Gesamtkonzeptes scheint und die Note nur leicht schmälert.

Stefan Hirt

Darsteller:
Zach Braff – Andrew Largeman
Natalie Portman – Sam
Ian Holm – Gideon Largeman
Peter Sarsgaard – Mark
Ron Leibman – Dr. Cohen
Method Man – Diego
Denis O’Hare – Albert

Regie:
Zach Braff

Drehbuch:
Zach Braff

Kamera:
Lawrence Sher

Verfasst von: moeltner | August 27, 2007

Sin City

Originaltitel: Frank Miller’s Sin City
USA, 2005, 124 min, Keine Jugendfreigabe

Wenn die Herausgeber oder Macher einer gezeichneten Geschichte von vorneherein klar machen wollen, dass es sich hierbei mitnichten um „leichte Kost“ handelt, dann nennen sie die Geschichte nicht „Comic“, sondern „Graphic Novel“. Dieser Begriff markiert Geschichten für Leser, die sich selber zur Comic-Avantgarde zählen und einen gewissen künstlerischen Anspruchhaben. Die „Sin City“-Erzählungen von Frank Miller sind noch in anderer Hinsicht „graphic“. Die Darstellung von Gewalt ereichte hier bislang ungeahntes „graphisches“, sprich explizites Niveau. Hier wird knöcheltief im Blut gewatet und die Tatsache, dass es sich um schwarz-weiße Zeichnungen handelt, mindert die Intensität nur minimal.

Es war also eher unwahrscheinlich – trotz allen Comic-Booms – dass es jemals eine Verfilmung dieser düsteren Geschichten geben würde, in denen es vor Sex und Gewalt, Huren und Kriminellen nur so wimmelt. Doch ausgerechnet Robert Rodriguez (Desperado, From Dusk till Dawn), der Hollywood-Outlaw, der stets ausschließlich in seinen eigenen Studios dreht und der in der Regel von der Kameraführung bis zum Schnitt alles selber macht, nahm sich der Aufgabe an, dieses düstere Meisterwerk zu verfilmen. Sein Respekt vor Frank Miller ging dabei soweit, dass er ihn als Drehbuchschreiber und Co-Regisseur angibt – obwohl Rodriguez durchaus auch selber Hand an das Skript anlegte.

„Sin City“, der Film, erzählt dabei gleich drei Geschichten aus dem Universum von Frank Miller (plus eine Kurzgeschichte). Die Erzählungen sind dabei relativ unabhängig voneinander, allerdings teilen sie sich denselben Figurenkosmos und überlappen sich auf der Seite der Handlung. Es wird ein Blick auf das illustre, mitunter schrille Personal geworfen, das Sin City bevölkert. Zum Beispiel Marv (Mickey Rourke) der ruppige Gigant mit leichtem Hang zur Schizophrenie. Er zieht eine unglaubliche Blutspur durch die Unterwelt von Sin City, da irgendjemand seine Goldie (Jaime King), die Hure mit dem goldenen Herz, umgebracht hat. Dann gibt es da Dwight (Clive Owen), der eigentlich nur seine Freundin Shellie (Brittany Murphy) vor ihrem Ex-Freund Jack (Benicio del Toro) beschützen will und dabei eine Kettenreaktion auslöst, die in Old City, dem Prostituiertenviertel der Stadt, droht die fragile Balance zwischen den Huren und der Polizei aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und da ist schlussendlich auch noch der ehemalige Polizist Hartigan (Bruce Willis), der ins Gefängnis ging, um ein Mädchen vor einem bösartigen Kinderschänder (Nick Stahl) zu schützen. Als das Mädchen zu einer jungen Frau heranreift, ist die Sache nicht mehr ganz so einfach….

Was zunächst einmal an „Sin City“ verblüfft, ist die ungeheure Menge an Starpower, die sich in diesem Film vereint hat. Egal ob nun Bruce Willis, Jessica Alba, Elijah Wood oder Clive Owen – Rodriguez konnte aus dem Vollen schöpfen. Ganz offenbar haben hier etliche Schauspieler die Gelegenheit gewittert, einmal etwas ganz anderes machen zu können. Und in der Tat, so mancher Darsteller wird radikal entgegen seines bisherigen Portfolios besetzt (Elijah Wood zeigt uns als psychopathischer Killer, dass man mit Berechtigung mitunter ein ungutes Gefühl hatte, wenn Frodo den Zuschauer in „Der Herr der Ringe“ mit großen Augen anstierte) und auch einem veritablem Comeback gibt dieser Film die Grundlage: Mickey Rourke als Marv lässt sich mit Fug und Recht als Idealbesetzung bezeichnen.

Auch die künstlerische Umsetzung der „Graphic Novels“ bringt frischen Wind in die Comicfilmszene. Der Film ist größtenteils schwarz-weiss, lediglich einige Farbtupfer akzentuieren die Szenerie. Da fast ausschließlich vor Greenscreens gedreht wurde und man die Kulissen anschließend digital einfügte, ergab sich für Robert Rodriguez die Gelegenheit eine Umgebung zu schaffen, die ebenso stilisiert ist, wie die Vorlage von Frank Miller. Folgerichtig beinhaltet die Umsetzung dann auch gewisse „Film Noir“-Effekte, wie zum Beispiel eine fast durchgängige Erzählerstimme aus dem Off; ein Stilmittel, das heutzutage fast in Vergessenheit geraten ist. Der schwarz-weiße Look ermöglichte wahrscheinlich auch, dass der Film überhaupt an den Zensoren vorbeikam: Durchgängig in Farbe wäre diese Eruption an Gewalt wohl niemals ungeschnitten auf die Leinwand gekommen. Im Gegensatz zu so weichgespülten Verfilmungen wie „Judge Dredd“ konnte so Rodriguez die Comics geradezu 1:1 auf die Leinwand „übersetzen“.

Genau hiervon, nämlich von einer „Übersetzung“ spricht dann auch Rodriguez selber. Es sei keine normale Verfilmung, sondern eine bildgetreue Adaption der Vorlage. Und in der Tat: Bis in die Perspektive von Einstellungen hinein orientiert sich Rodriguez an der Vorlage von Frank Miller. Doch genau dieses lässt schnell die Frage aufkommen, was das Ganze soll. Sicher, es ist eine interessante Sache, die Figuren aus „Sin City“ überlebensgroß und in Bewegung auf der Leinwand zu sehen. Doch letzten Endes hinterlässt diese bildgetreue Übersetzung einen fahlen Nachgeschmack. Denn es stellt sich schnell die Frage, warum man sich das Ganze eigentlich ansehen soll, wenn man auch genauso gut die Comics lesen kann. Der Haken an der bemühten Werktreue ist schlicht und ergreifend, das Rodriguez nichts, aber auch gar nichts Neues und Eigenständiges zum Kosmos von „Sin City“ beiträgt. Das wirkt dann insbesondere bei einem Comic enttäuschend. Schon bei Buchverfilmungen sind diejenigen Filme, die lediglich eine Bebilderung der Geschichte darstellen, aber keine Interpretation liefern, in der Regel laue Durchschnittskost. Bei einer Vorlage, die ohnehin schon aus Bildern besteht, enttäuscht eine derartige Vorgehensweise umso mehr.

Hinzu kommt noch: Sin City ist zu lang. Auf Dauer wirkt die Nummernrevue aus Gewaltausbrüchen und geradezu naivem Machismo doch ermüdend. Folge um Folge wird uns ein weiterer harter Mann präsentiert, der behauptet, er würde keine Frauen schlagen und der genau dieses keine zwei Minuten später tut. Folge um Folge wird uns eine weitere Frau mit prächtiger Oberweite präsentiert, deren große Knarren dann wohl Frank Millers Vorstellung von Emanzipation darstellen. In dieser Welt hätte sich Charles Bukowski sicher sehr wohl gefühlt, als einzelner Comic, bei dem der Leser die „Laufgeschwindigkeit“ bestimmen kann, ist es auch eine erfrischende Abwechslung. Als über zweistündiger Film wird es irgendwann schlicht und ergreifend anstrengend. Hier wäre weniger mehr gewesen. Dann hätte Rodriguez vielleicht auch Zeit gehabt, uns die Charaktere näher zu bringen, damit der Zuschauer auch eine Chance hat, zu ihnen eine Bindung aufzubauen. Das gelingt lediglich bei Hartigan und Nancy ansatzweise.

Letzten Endes ist Robert Rodriguez mit seiner eigenwilligen Umsetzung eines Kultcomics gescheitert. Doch gerade für dieses Scheitern gehört ihm der größte Respekt. Denn der Film zeugt von einer Qualität, die in Hollywood rar geworden ist: Mut. Dem Mut, die Dinge einmal ganz anders anzupacken als der Mainstream. Dem Mut, gleich ein halbes Dutzend Filmtabus zu brechen. Dem Mut, im 21. Jahrhundert einen Film, der dann letzten Endes doch auf ein Massenpublikum zielt, in schwarz-weiss zu drehen. Der stilisierte, künstlerische Look des Films ist dann auch über jeden Zweifel erhaben und dürfte wohl in den nächsten Jahren nicht ohne Einfluss auf die Filmwelt bleiben. Schon allein deshalb lohnt sich trotz aller Schwächen der Filmbesuch

Darsteller:
Jessica Alba – Nancy Callahan
Rosario Dawson – Gail
Benicio Del Toro – Jack
Michael Clarke Duncan – Manute
Josh Hartnett – The Man
Rutger Hauer – Cardinal Roark
Michael Madsen – Bob
Brittany Murphy – Shellie
Clive Owen – Dwight
Mickey Rourke – Marv
Nick Stahl – Roark Jr.
Bruce Willis – Hartigan
Elijah Wood – Kevin

Regie:
Frank Miller
Robert Rodriguez
Quentin Tarantino

Drehbuch:
Frank Miller

Kamera:
Robert Rodriguez

Musik:
John Debney
Graeme Revell

Verfasst von: moeltner | August 27, 2007

Europa

Originaltitel: Europa
Dänemark / Schweden / BR Deutschland / Frankreich, 1990, 112 min

Die Rückkehr des „Verschollenen“

Lars von Trier hat’s mit den Klassikern. In „Dogville“ („2004“), dem Teil 1 seiner „Amerika-Trilogie“, bediente er sich des brechtschen Verfremdungseffektes, in „Europa“ (1990), dem 3. Teil der „Europa-Trilogie“, kreierte er ein kafkaskes Nachkriegsdeutschland. Nicht zufällig erinnert der Titel an Kafkas Romanfragment „Amerika“ („Der Verschollene“), denn wo sich Kafkas „Verschollener“ Karl Roßmann in den merkwürdigen modernen Ordnungssystemen „Amerikas“ verirrte, da ergeht es Leopold Kessler in Lars von Triers absurd-düsterem „Europa“ kaum anders. Triers cineastisches Kabinettstück, gedreht 1990, kommt am 21. Juli 2005 erneut in die Kinos.

Am Anfang ist die Stimme des Erzählers, der uns zum monoton-rythmischen Fluss unterwärts weggleitender Eisenbahnschwellen hypnotisiert und einstimmt: „Wenn ich bis zehn gezählt habe, wirst du in Europa sein“. Bei „Zehn“ tritt der Protagonist ins Bild. Leopold Kessler ist statt unserer im Film „Europa“ angekommen. Oder wir mit ihm. Eine unverhohlenere Nötigung zur Identifikation ist kaum vorstellbar. Aber sie ist effektiv. Der Erzähler hat uns schon ganz hinein gezogen in seine Geschichte.

„Aus New York mit dem Schiff“ sei Leopold angereist, wird ihm – und uns – eingesprochen; er hat also den umgekehrten Weg des „Verschollenen“ hinter sich, „um ein Zeichen zu setzen“. Er will als Amerikaner den Deutschen im Herbst 1945 „etwas Freundlichkeit zeigen“ und „die Welt ein wenig menschlicher machen“. Zu diesem Zweck möchte er (ausgerechnet) Schlafwagenschaffner bei „Zentropa“ werden. „Zentropa“ ist die deutsche Bahngesellschaft, die vor und im 2. Weltkrieg Transporte von Passagieren, Waffen, Vieh und Sondertransporte, wie die von Juden ermöglichte, und sich danach auf Schlafwagen verlegt hat. Katharina Hartmann, die Tochter des Firmeneigners, verführt Leo zur Heirat mit ihr und versucht ihn auf ihre Seite zu bringen, die Seite des Revanchismus, die der letzten aufrechten Deutschen, die sich „Die Werwölfe“ nennen.

In Frankfurt/Main, Deutschland, Europa, herrscht andauernde Nacht. Die Deutschen leben in einem Zustand zwischen Apathie und Geschäftigkeit. Was sie wach macht, ist das Befolgen und Einhalten akribisch-absurder Regeln. Heilig im Deutschland der Ruinen ist die Wiederherstellung des Betriebs, der Eisenbahn, die Wiederaufnahme blinder Betriebsamkeit, Gehorsamkeit: Das Wichtigste ist, dass die Räder (wieder) rollen: Hunderte ausgemergelter Menschen, Sklaven der Maschine, schleppen eine Lokomotive mit Seilen aus einer Halle. Eine Schlüsselszene und Metapher für die Moderne, angelehnt an Langs „Metropolis“ und Chaplins „Moderne Zeiten“. „Amerika“ trifft auf „Europa“. Karl kehrt zurück als Leo. Auch das Kino nahm seinen Anfang in Europa, führte in die USA und kehrte mit der Siegermacht zurück – und „Europa“ ist auch ein Film über das Kino.

Das Ensemble „Europas“ wirkt mitunter wie ein Who-is-Who des deutschen Autorenkinos der siebziger Jahre: Urgestein Eddie Constantine, bekannt als FBI-Agent Lemmy Caution, als alter Mann in seinem vorletzten Film und Fassbinder-Schauspieler, wie auch Udo Kier oder Barbara Sukowa („Lola“). Der amerikanische Idealist Kessler (deutscher Abstammung) wird gespielt vom Taucherass Jean-Marc Barr, bekannt aus Bessons „Im Rausch der Tiefe“. Als Leos Onkel sehen wir Ernst Hugo Järegård, der vor seinem Tod noch zu verdienter Berühmtheit gelangte als göttlich misanthropischer Dr. Helmer in von Triers „Geister“. In einer Nebenrolle erscheint Lars von Trier himself: Ein Jude, dem die Haare nach dem KZ kaum wieder auf Streichholzlänge wachsen konnten. Ein armes Schwein, kein Befreiter. Nicht zuletzt mimt Dietrich Kuhlbrodt, Schauspieler, Filmkritiker (und Co-Herausgeber der filmzentrale.com), im echten Nachkriegsdeutschland als Oberstaatsanwalt Verfolger von Naziverbrechern, den Zuginspektor, der Leopold Kessler in dessen Aufgaben bei „Zentropa“ einweist.

Bezüge, wohin das Auge reicht: Darsteller als Verweise an die deutsche Kinogeschichte, alles pars pro toto: Wenn von Trier eine liebevoll aufgebaute, wie ein Uhrwerk laufende Modelleisenbahnanlage ins Spiel bringt, veranschaulicht er das allzudeutsche Märklin-Ideal. Wichtiger als ihr Sinn ist das Funktionieren der Ordnung. Kafka meets Germany, oder umgekehrt.

Irgendwann platzt Leopold angesichts des absurden, deutschen, europäischen, modernen Vorschriftendschungels der Kragen, und das ist lustig und für einen Augenblick befreiend: „Ich hab das Gefühl, seit ich hier bin, haben mich alle nur fürchterlich angeschissen – jetzt bin ich an der Reihe, jetzt sag‘ ich mal was…“ Dann fehlen ihm die Worte.

Der Deutsche als Ordnungswesen wird im Film zur Karikatur, und die Karikatur zum Paradigma europäischen Seins erhoben. Das ist vermessen und deshalb irritierend, weil der Film vor Stilzitaten wimmelt und als Patchwork der Genres Nachkriegsfilm (maßgeblich: die „Krupp“-Familie aus Viscontis „Die Verdammten“), Melodram, Thriller, mit demonstrativen Anleihen beim Expressionismus, bei Eisenstein, bei Hitchcock seine auktoriale Autonomie dauernd unterminiert. Dezidiert postmodern, darin vergleichbar höchstens mit Lynchs „Wild at Heart“, ist „Europa“.

Weitgehend in einem ranzigen Schwarzweiß gedreht, bedient sich der Film partiell der Farbe, wenn es sentimental oder blutig wird, der Verfremdung durch übergroße Hintergrundprojektionen – und des Schockeffekts, wenn in „Waggons, von deren Existenz du keine Ahnung hattest“ (die landläufige Antwort der Deutschen 1945 auf die Frage nach Konzentrationslagern) bis auf die Knochen ausgehungerte Sträflinge auftauchen. In diesem Zug namens „Nachkriegsdeutschland“ fährt das KZ noch mit, als habe es nie eine „Befreiung“ gegeben.

Triers Deutschland mit seinen gleichgeschalteten Vollstreckern und Sklaven – ob vor oder nach dem Krieg – mit seinen Vernichtungsmaschinen und dem Holocaust, als dessen logistischer Höchstleistung, verdichtet sich so zur finsteren Vollendung der modernen Welt. Auch nicht nach der Katastrophe, nach dem ultimativen Verbrechen ist in diesem Deutschland irgend jemand lernfähig. Gerade ein naiver Leopold, der es mit allen nur gut meint, kann sich den normativen Zwängen von Zentropa-Europa nicht entziehen. Jede seiner Handlungen ist zwangsläufig parteiisch und wird sofort ausgenutzt. Er wird schuldlos schuldig, er hat keine Wahl – so wenig wie sein Vorgänger Karl in Kafkas „Amerika“. Das Sein in „Europa“ ist schiere Determination, und der Erzähler entpuppt sich als „Determinator“, als ein böser Gott. Nur ein Weg führt aus diesem verlorenen Europa heraus, der durch den Tod. Aus dem Schlafwagenschaffner wird ein „Schläfer“: „Am Morgen hat der Schläfer endlich Ruhe gefunden – am Grunde des Meeres…“ Für die Schlusssequenz musste Barr sehr lange die Luft anhalten.

„Europa“ war von Triers letzter hochartifizieller, streng durchkonzipierter Film, bevor er sich mit „Breaking the Waves“ oder „Die Idioten“ den Schauspielern, der Improvisation und der Handkamera zuwandte. „Europa“, das opulente Werk eines Cineasten für Cineasten, sollte man im Kino sehen, solange sich die Gelegenheit bietet.

Andreas Thomas / filmzentrale.com 

Verfasst von: moeltner | August 27, 2007

Sin City

Originaltitel: Frank Miller’s Sin City
USA, 2005, 124 min, Keine Jugendfreigabe

Wenn die Herausgeber oder Macher einer gezeichneten Geschichte von vorneherein klar machen wollen, dass es sich hierbei mitnichten um „leichte Kost“ handelt, dann nennen sie die Geschichte nicht „Comic“, sondern „Graphic Novel“. Dieser Begriff markiert Geschichten für Leser, die sich selber zur Comic-Avantgarde zählen und einen gewissen künstlerischen Anspruchhaben. Die „Sin City“-Erzählungen von Frank Miller sind noch in anderer Hinsicht „graphic“. Die Darstellung von Gewalt ereichte hier bislang ungeahntes „graphisches“, sprich explizites Niveau. Hier wird knöcheltief im Blut gewatet und die Tatsache, dass es sich um schwarz-weiße Zeichnungen handelt, mindert die Intensität nur minimal.

Es war also eher unwahrscheinlich – trotz allen Comic-Booms – dass es jemals eine Verfilmung dieser düsteren Geschichten geben würde, in denen es vor Sex und Gewalt, Huren und Kriminellen nur so wimmelt. Doch ausgerechnet Robert Rodriguez (Desperado, From Dusk till Dawn), der Hollywood-Outlaw, der stets ausschließlich in seinen eigenen Studios dreht und der in der Regel von der Kameraführung bis zum Schnitt alles selber macht, nahm sich der Aufgabe an, dieses düstere Meisterwerk zu verfilmen. Sein Respekt vor Frank Miller ging dabei soweit, dass er ihn als Drehbuchschreiber und Co-Regisseur angibt – obwohl Rodriguez durchaus auch selber Hand an das Skript anlegte.

„Sin City“, der Film, erzählt dabei gleich drei Geschichten aus dem Universum von Frank Miller (plus eine Kurzgeschichte). Die Erzählungen sind dabei relativ unabhängig voneinander, allerdings teilen sie sich denselben Figurenkosmos und überlappen sich auf der Seite der Handlung. Es wird ein Blick auf das illustre, mitunter schrille Personal geworfen, das Sin City bevölkert. Zum Beispiel Marv (Mickey Rourke) der ruppige Gigant mit leichtem Hang zur Schizophrenie. Er zieht eine unglaubliche Blutspur durch die Unterwelt von Sin City, da irgendjemand seine Goldie (Jaime King), die Hure mit dem goldenen Herz, umgebracht hat. Dann gibt es da Dwight (Clive Owen), der eigentlich nur seine Freundin Shellie (Brittany Murphy) vor ihrem Ex-Freund Jack (Benicio del Toro) beschützen will und dabei eine Kettenreaktion auslöst, die in Old City, dem Prostituiertenviertel der Stadt, droht die fragile Balance zwischen den Huren und der Polizei aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und da ist schlussendlich auch noch der ehemalige Polizist Hartigan (Bruce Willis), der ins Gefängnis ging, um ein Mädchen vor einem bösartigen Kinderschänder (Nick Stahl) zu schützen. Als das Mädchen zu einer jungen Frau heranreift, ist die Sache nicht mehr ganz so einfach….

Was zunächst einmal an „Sin City“ verblüfft, ist die ungeheure Menge an Starpower, die sich in diesem Film vereint hat. Egal ob nun Bruce Willis, Jessica Alba, Elijah Wood oder Clive Owen – Rodriguez konnte aus dem Vollen schöpfen. Ganz offenbar haben hier etliche Schauspieler die Gelegenheit gewittert, einmal etwas ganz anderes machen zu können. Und in der Tat, so mancher Darsteller wird radikal entgegen seines bisherigen Portfolios besetzt (Elijah Wood zeigt uns als psychopathischer Killer, dass man mit Berechtigung mitunter ein ungutes Gefühl hatte, wenn Frodo den Zuschauer in „Der Herr der Ringe“ mit großen Augen anstierte) und auch einem veritablem Comeback gibt dieser Film die Grundlage: Mickey Rourke als Marv lässt sich mit Fug und Recht als Idealbesetzung bezeichnen.

Auch die künstlerische Umsetzung der „Graphic Novels“ bringt frischen Wind in die Comicfilmszene. Der Film ist größtenteils schwarz-weiss, lediglich einige Farbtupfer akzentuieren die Szenerie. Da fast ausschließlich vor Greenscreens gedreht wurde und man die Kulissen anschließend digital einfügte, ergab sich für Robert Rodriguez die Gelegenheit eine Umgebung zu schaffen, die ebenso stilisiert ist, wie die Vorlage von Frank Miller. Folgerichtig beinhaltet die Umsetzung dann auch gewisse „Film Noir“-Effekte, wie zum Beispiel eine fast durchgängige Erzählerstimme aus dem Off; ein Stilmittel, das heutzutage fast in Vergessenheit geraten ist. Der schwarz-weiße Look ermöglichte wahrscheinlich auch, dass der Film überhaupt an den Zensoren vorbeikam: Durchgängig in Farbe wäre diese Eruption an Gewalt wohl niemals ungeschnitten auf die Leinwand gekommen. Im Gegensatz zu so weichgespülten Verfilmungen wie „Judge Dredd“ konnte so Rodriguez die Comics geradezu 1:1 auf die Leinwand „übersetzen“.

Genau hiervon, nämlich von einer „Übersetzung“ spricht dann auch Rodriguez selber. Es sei keine normale Verfilmung, sondern eine bildgetreue Adaption der Vorlage. Und in der Tat: Bis in die Perspektive von Einstellungen hinein orientiert sich Rodriguez an der Vorlage von Frank Miller. Doch genau dieses lässt schnell die Frage aufkommen, was das Ganze soll. Sicher, es ist eine interessante Sache, die Figuren aus „Sin City“ überlebensgroß und in Bewegung auf der Leinwand zu sehen. Doch letzten Endes hinterlässt diese bildgetreue Übersetzung einen fahlen Nachgeschmack. Denn es stellt sich schnell die Frage, warum man sich das Ganze eigentlich ansehen soll, wenn man auch genauso gut die Comics lesen kann. Der Haken an der bemühten Werktreue ist schlicht und ergreifend, das Rodriguez nichts, aber auch gar nichts Neues und Eigenständiges zum Kosmos von „Sin City“ beiträgt. Das wirkt dann insbesondere bei einem Comic enttäuschend. Schon bei Buchverfilmungen sind diejenigen Filme, die lediglich eine Bebilderung der Geschichte darstellen, aber keine Interpretation liefern, in der Regel laue Durchschnittskost. Bei einer Vorlage, die ohnehin schon aus Bildern besteht, enttäuscht eine derartige Vorgehensweise umso mehr.

Hinzu kommt noch: Sin City ist zu lang. Auf Dauer wirkt die Nummernrevue aus Gewaltausbrüchen und geradezu naivem Machismo doch ermüdend. Folge um Folge wird uns ein weiterer harter Mann präsentiert, der behauptet, er würde keine Frauen schlagen und der genau dieses keine zwei Minuten später tut. Folge um Folge wird uns eine weitere Frau mit prächtiger Oberweite präsentiert, deren große Knarren dann wohl Frank Millers Vorstellung von Emanzipation darstellen. In dieser Welt hätte sich Charles Bukowski sicher sehr wohl gefühlt, als einzelner Comic, bei dem der Leser die „Laufgeschwindigkeit“ bestimmen kann, ist es auch eine erfrischende Abwechslung. Als über zweistündiger Film wird es irgendwann schlicht und ergreifend anstrengend. Hier wäre weniger mehr gewesen. Dann hätte Rodriguez vielleicht auch Zeit gehabt, uns die Charaktere näher zu bringen, damit der Zuschauer auch eine Chance hat, zu ihnen eine Bindung aufzubauen. Das gelingt lediglich bei Hartigan und Nancy ansatzweise.

Letzten Endes ist Robert Rodriguez mit seiner eigenwilligen Umsetzung eines Kultcomics gescheitert. Doch gerade für dieses Scheitern gehört ihm der größte Respekt. Denn der Film zeugt von einer Qualität, die in Hollywood rar geworden ist: Mut. Dem Mut, die Dinge einmal ganz anders anzupacken als der Mainstream. Dem Mut, gleich ein halbes Dutzend Filmtabus zu brechen. Dem Mut, im 21. Jahrhundert einen Film, der dann letzten Endes doch auf ein Massenpublikum zielt, in schwarz-weiss zu drehen. Der stilisierte, künstlerische Look des Films ist dann auch über jeden Zweifel erhaben und dürfte wohl in den nächsten Jahren nicht ohne Einfluss auf die Filmwelt bleiben. Schon allein deshalb lohnt sich trotz aller Schwächen der Filmbesuch

Darsteller:
Jessica Alba – Nancy Callahan
Rosario Dawson – Gail
Benicio Del Toro – Jack
Michael Clarke Duncan – Manute
Josh Hartnett – The Man
Rutger Hauer – Cardinal Roark
Michael Madsen – Bob
Brittany Murphy – Shellie
Clive Owen – Dwight
Mickey Rourke – Marv
Nick Stahl – Roark Jr.
Bruce Willis – Hartigan
Elijah Wood – Kevin

Regie:
Frank Miller
Robert Rodriguez
Quentin Tarantino

Drehbuch:
Frank Miller

Kamera:
Robert Rodriguez

Musik:
John Debney
Graeme Revell

Verfasst von: moeltner | August 27, 2007

16 Blocks

Manchmal ist der Wissensvorsprung, den Zuschauer gegenüber den Protagonisten eines Filmes haben, ja schon fast unfair. Ein Beispiel: Jeder, der mehr als zwei Filme mit Bruce Willis gesehen hat, weiß, was als nächstes passiert, wenn sich sein Blick verhärtet und die Wangenknochen anfangen zu mahlen: Ein Mann geht seinen Weg – stur und unerbittlich. In „16 Blocks“ kehrt Bruce Willis in eine seiner Lieblingsrollen zurück, die er schon in diversen Varianten verkörpert hat: Er spielt den versoffenen, völlig abgehalfterten Cop Jack Mosley, der durch eine schicksalhafte Verknüpfung von Ereignissen plötzlich in eine Situation manövriert wird, in der er über sich hinauswächst.

Dabei ist die Ausgangsbedingung denkbar unspektakulär. Nach einer ermüdenden Nachtschicht will Jack Mosley eigentlich nur nach Hause. Doch er soll um kurz nach acht in der Früh noch einen kleinen Auftrag erfüllen – in seinem Revier herrscht Personalmangel. Er soll den Ganoven Eddie Bunker ins Gericht fahren, damit der dort eine nicht näher erläuterte Zeugenaussage machen kann. Er muss um zehn Uhr im Gerichtsgebäude sein. Zwei Stunden für 16 Blocks – ein Kinderspiel.

Doch schnell wird Jack eines Schlimmeren belehrt. Der Zeuge Eddie Bunker (Mos Def) erweist sich nicht nur als veritable Labertasche, er scheint offenbar auch etwas zu wissen, das mächtige Leute sehr nervös macht. Als Jack einen unplanmäßigen Zwischenstopp einlegt, um in einem Schnapsladen einen „Frühschoppen“ zu kaufen, kann er gerade noch verhindern, wie Eddie in Jacks Streifenwagen erschossen wird. Es beginnt eine wilde Flucht, bei der Jack sehr schnell feststellen muss, dass er von seinen eigenen Kollegen verfolgt wird – allen voran sein ehemaliger Partner Frank Nugent (David Morse). Eddie hat offenbar könnte einige korrupte Cops schwer belasten, weshalb er aus dem Weg geschafft werden soll. Die Flucht in Richtung Gerichtsgebäude wird dabei für Jack auch eine innere Reise – er muss sich seiner eigenen Vergangenheit stellen.

Nach dem eher enttäuschenden Film „Timeshift“ meldet sich Regielegende Richard Donner (Das Omen, Superman, Lethal Weapon 1-4) zurück und möchte offenbar an alte Zeiten anknüpfen. Hierzu hat er mit „16 Blocks“ einen Film geschaffen, der erfrischend unprätentiös und im positiven Sinne altmodisch rüberkommt. Donner verkneift sich audiovisuelle Mätzchen. Es gibt keinen Effektschnickschnack, die Kameraführung ist zurückhaltend und das Tempo – paradoxerweise trotz der Tatsache, dass der Film teilweise, ähnlich wie in der Fernsehserie „24″ in Echtzeit abläuft, eher gemächlich. Besonders auffällig ist aber, dass die zahlreichen ruhigen Momente des Films tatsächlich ruhig sind – es gibt eine auffällige Abwesenheit von Filmmusik – eine echt wohltuende Abwechslung in Zeiten, in denen gerne jegliche emotionale Regung mit entsprechendem Soundbrei zugekleistert wird.

Und so wird dann auch schnell deutlich, woran das Herz von Richard Donner hängt: Es ist nicht so sehr die durchaus routiniert, aber mit Sicherheit nicht spektakulär bebilderte Action. Im Kern dreht sich der Film um zwei Fragen:

1.) Wie weit ist es eigentlich her mit dem Wahlspruch, den wir von diversen Film-Polizeimarken kennen, auf denen „To protect and serve“ („Um zu schützen und zu dienen“) zu lesen ist? Um die Tragweite dieses Schwures auszutesten, bürden Regie und Drehbuch (Richard Wenk) dem Protagonisten – und damit auch dem Zuschauer – einiges auf. Nicht nur, dass Jacks Schützling mit Sicherheit kein Unschuldsengel ist. Er ist auch eine ziemliche Nervensäge. Der von Mos Def kongenial verkörperte Eddie Bunker redet ohne Punkt und Komma, dreht sich dabei argumentativ gerne mal im Kreis und strapaziert Jacks ohnehin schon deutlich angespanntes Nervenkostüm bis zum Zerreißen. Mancher Kinozuschauer wird sich fragen, warum eigentlich Jack ausgerechnet für dieses anstrengende Individuum seine – zugegebenermaßen klägliche – Existenz aufs Spiel setzt. Die Antwort des Films ist ebenso simpel, wie fundamental: Weil genau dies nun mal die Aufgabe eines Polizisten ist – und es beim Schützen und Dienen eben nicht darum geht, ob der Gegenüber nun sympathisch ist, oder nicht. Dabei macht es der Film auch dem Zuschauer ganz bewusst nicht einfach, Eddie zu mögen. Wenn man den Kern der filmischen Aussage betrachtet ein ebenso konsequenter wie anerkennenswerter Schritt. Bleibt die Frage bestehen, wieso Jack eigentlich ausgerechnet in Gegenwart von Eddie so über sich hinauswächst. Die führt zu…

2.) Wer sich einmal auf Eddies vor offensichtlicher Nervosität strotzendes Gebrabbel einlässt und den seltsamen esoterischen Touch seiner Äußerungen beiseite schiebt, wird feststellen, dass in all dem Gerede ein Kern steckt, an dem sich Eddie geradezu verzweifelt festklammert und deshalb wie ein Mantra wiederholt: Es geht um die Frage, ob sich Menschen tatsächlich ändern können. Eddie bejaht dies geradezu aggressiv. Auch dies mag, ähnlich wie die Sache mit dem „to protect and serve“, auf den ersten Blick ein wenig simpel wirken, ist aber aufgrund der Konstruktion des Films von großer Bedeutung. Eddie ist in seinem Leben offenbar alles andere als auf geraden Pfaden gegangen. Doch nun bietet sich in Form seiner Zeugenaussage eine Chance, einmal etwas richtig zu machen. Auf dieser kleinen Chance baut er gleich eine wesentlich größere Hoffnung auf, nämlich die, sein eigenes Leben komplett umkrempeln zu können. An diese Hoffnung klammert er sich mit einer derart naiven Inbrunst, dass selbst die Fassade des defätistischen Jacks anfängt zu bröckeln. Im Verlaufe der Handlung entschließt sich Eddie zu einigen geradezu wahnwitzigen Schritten, um seiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen – und rettet schlussendlich nicht nur sich selber damit, sondern eben auch Jack, der sich eigentlich schon längst aufgegeben hat.

Man mag kritisch anmerken, dass das doch alles ein bisschen konstruiert ist. Es gibt in der Tat nur allzu berechtigte Zweifel, ob in der Wirklichkeit Figuren wie Eddie und Jack auch nur fünf Minuten zu leben hätten. Dass die beiden in dieser ausweglosen Situation sich tatsächlich entschließen, gegen alle Widerstände anzukämpfen, erscheint wenig realistisch und in der Tat muss das Drehbuch den einen oder anderen Deus ex Machina in Kauf nehmen, um die beiden Protagonisten mit ihrem Bemühen triumphieren zu lassen. Es wird somit deutlich, dass Richard Donner und Richard Wenk die naive Hoffnung von Eddie Bunker ganz offensichtlich teilen.

Will man dies ihnen zum Vorwurf machen? Man kann durchaus…

Darsteller:
Bruce Willis – Jack Mosley
Mos Def – Eddie Bunker
David Morse – Frank Nugent
Jenna Stern – Diane Mosley
Casey Sander – Captain Gruber

Regie:
Richard Donner

Drehbuch:
Richard Wenk

Kamera:
Glen MacPherson

Musik:
Klaus Badelt

 

Verfasst von: moeltner | Juli 7, 2007

Stirb Langsam 4.0

Originaltite: Live free or die hard
USA, 2007, 130 min, FSK 16

Wenn man sich all die Zukunftsvisionen des Kinos der vergangenen 40 Jahre anschaut, dann muss man sagen, dass die Realität irgendwie… unspektakulär wirkt. Wir fliegen nicht mit PanAm zum Mond, wir fliegen nicht mal mehr mit PanAm irgendwohin. Wir haben keine Hovercars, sondern Funkfernbedienungen für die Zentralverriegelung unserer Autos. Und wir können uns auch nicht via virtueller Realität in die Erinnerungen anderer Menschen einloggen, aber es gibt Second Life. Es ist gerade diese Banalität der Veränderungen, die uns oftmals übersehen lässt, welche fundamentalen Umwälzungen in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden haben.

Da braucht es schon jemanden wie John McClane (Bruce Willis), um uns mit der Nase darauf zu stoßen, wie sehr sich die Welt verändert hat. Ín „Stirb Langsam 4.0“ wirkt er ähnlich „out of place“, wie Arnold in „Terminator 3“. Der Grund: Diesmal muss sich der Ausnahmecop einer neuen Generation von Terroristen erwehren, die die Vernetzung der modernen Welt als Achillessehne nutzen, um ganz Amerika in Geiselhaft zu nehmen. In einem grandiosem Coup legen sie Verkehrsleitzentralen lahm, sähen Angst und Schrecken mit Videomontagen, die über alle TV-Sender ausgestrahlt werden und bemühen sich den Strom im ganzen Land auszuknipsen.

Einen derartigen massiven Hackerangriff kann der dezent soziopathisch wirkende Thomas Gabriel (Timothy Olyphant) natürlich nicht alleine stemmen. Also hat er Tophacker im ganzen Land engagiert – ohne dass diese es wissen. Sie denken, sie würden eine neue Sicherheitssoftware auf Lücken testen. Nachdem sie ihren kleinen Beitrag zu Maschinerie des Chaos geleistet haben, werden sie durch die Terroristen eliminiert – Sicher ist sicher. Nur Matt Farrell (Justin Long) entgeht diesem Schicksal – weil John McLane einmal mehr zur rechten Zeit am falschen Ort ist und dem Grünschnabel das Leben rettet, als dieser gerade beseitigt werden soll.

Fortan bilden die beiden auf einer atemlosen Hatz ein Team: McLane muss den Hacker vor dem Zugriff der Terroristen beschützen und versuchen, ebenjenen das Handwerk zu legen. Dabei ist er auf die Hilfe von Matt angewiesen, der das Bindeglied zu einer Welt darstellt, die John weder verstehen kann und will. Doch am Ende ist es natürlich wieder einmal McLane, der den Tag auf die eher ruppige Tour retten muss – denn offenbar ist niemand anderes dazu in der Lage.

Ähnlich wie „Terminator 3“ tritt auch „Stirb Langsam 4.0“ die Flucht nach vorne im Umgang mit seinem Protagonisten an. Er will überhaupt nicht leugnen, dass der Held der Serie langsam „zu alt für diesen Scheiß“ (um mal eine andere Actionserie zu zitieren) wird, sondern das Drehbuch integriert dieses Faktum clever in die Story. Stets etwas genervt wirkend wuchtet sich John McLane durch eine Welt, die ihm eigentlich permanent sagen möchte, dass er schon längste ein Auslaufmodell ist. Doch gerade, weil er dies stoisch ignoriert, ist er so erfolgreich. Gegen den Held mit Working-Class-Attitüde haben die stets etwas gelackt wirkenden High-Tech-Terroristen letzten Endes deshalb keine Chance, weil sich McLane nicht scheut, einfach mal mit der Brechstange auf die fein durchdachte Maschinerie des Terrors einzudreschen, die sich Gabriel und seine Kumpanen ausgedacht haben – zur Freude des Zuschauers.

Der kommt nämlich endlich mal wieder in den Genuss eines ordentlich durchchoreographierten Actionfilms. Regisseur Len Wiseman (Underworld / Underworld Evolition) gibt von Anfang an Vollgas und dreht über zwei Stunden lang kontinuierlich an der Temposchraube. Dabei ist der Film vollgestopft mit liebevollen Reminiszenzen an die Vorgängerfilme der Serie und den Drehbuchautoren ist es einmal mehr gelungen, die Balance zwischen trockenem Humor und Ernsthaftigkeit zu bewahren – etwas, was im dritten Teil nicht so gut funktioniert hatte. Da fällt es dann auch kaum in Gewicht, dass der Film etwas zurechtgestutzt wurde, um eine PG-13 Wertung zu bekommen – es geht auch so noch ordentlich zur Sache. In diesem Sinne: Yippi-kay-ay, Schweinebacke!

Darsteller:
Bruce Willis – JohnMcLane
Timothy Olyphant – Thomas Gabriel
Justin Long – Matt Farrell
Maggie Q – Mai Lihn
Kevin Smith – Warlock
Mary Elizabeth Winstead – Lucy McLane

Regie:
Len Wiseman

Drehbuch:
Mark Bomback / David Marconi; inspiriert durch den Artikel „A Farewell to Arm“ von John Carlin

Kamera:
Simon Duggan

Musik:

Marco Beltrami

Verfasst von: moeltner | Juni 28, 2007

Saw

Originaltitel: Saw
USA, 2004, 102 min, FSK: Ohne Jugendfreigabe

Manchmal sind die einfachsten Dinge die cleversten. So zum Beispiel der Titel des Debütwerkes des australischen Regisseurs James Wan: Saw. Der Begriff hat eine doppelte Bedeutung, da er zwei Übersetzungen zulässt. Entweder „Säge“ oder die Vergangenheitsform von „sehen“. Beides, die Säge und das Sehen spielen eine entscheidende Rolle in diesem düsteren Thriller, der mit minimalem Aufwand, kaum Staraufgebot in 18 Tagen gedreht wurde und sich in den USA zu einem Überraschungshit entwickelte.

Auch der Ausgangspunkt der Handlung ist erfrischend minimalistisch: Zwei Männer wachen in einem schmierigen Badezimmer auf. Sie sind mit Ketten an Rohre gefesselt. Beide können sich nicht mehr erinnern, wie sie in den Raum gekommen sind. In der Mitte des Raums liegt eine Leiche. Schon bald stellen sie fest, dass jemand offenbar ein perverses Spiel mit ihnen spielt. Sie haben Tonbänder bei sich, auf denen einer der beiden Personen, Dr. Lawrence Gordon (Cary Elves), dazu aufgefordert wird, den anderen, Adam (Leigh Wanell), zu töten. Ansonsten droht der Unbekannte die Frau und die Tochter von Lawrence umzubringen. Bald finden die beiden Gefangenen überall im Raum versteckt Hinweise und Hilfsmittel, um sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien – darunter zwei Sägen. Schnell wird auch klar, dass jeder ihrer Schritte beobachtet wird.

In Rückblenden erfahren wir, dass Adam und Dr. Gordon nicht die ersten Opfer der perversen Szenarien des „Puzzlemörders“ (im englischen passender: Jigsaw) sind. Streng genommen handelt es sich gar nicht um einen Mörder: Er konstruiert lediglich mit viel Geschick Szenarien, in denen sich Menschen aufgrund ihres Überlebenswillens entweder selber töten oder andere umbringen. Schon seit geraumer Zeit sind die Polizisten Detective David Tapp (Danny Glover) und Detective Steven Singh (Ken Leung) hinter dem Täter her – bislang mit wenig Erfolg.

„Saw“ ist einer dieser clever konstruierten Psychothriller, in denen die Macher vor allem mit dem Faktor spielen, dass sie das Informationsmonopol haben. In den diversen Rückblenden bekommt der Zuschauer immer neue Informationshäppchen geliefert, die ihn zu immer neuen Hypothesen über die Identität des Puzzlemörders animieren, um dabei immer wieder in die Irre geführt zu werden. Auf diese Weise vergegenwärtigt der Film die prekäre Situation der beiden Hauptcharaktere im Badezimmer, die ebenfalls auf bruchstückhafte Informationen angewiesen sind – hinzu kommt noch, dass beide Figuren nicht mit offenen Karten spielen. Der psychische Stress, dem Adam und Lawrence ausgesetzt sind und die Belastungen, die das moralische Wertesystem in deratigen Extremsiutionen zu zerreißen drohen, werden hier eindrucksvoll portraitiert.

Gerade in diesem reduzierten Setting mit zwei an die Wand geketteten Menschen entwickelt der Film eine ungeheuere dramatische Kraft, eindrucksvoll für ein Debütwerk. Dieser Part erscheint dann wohl auch der Nucleus der Filmidee, die James Wan und Drehbuchautor und Hauptdarsteller Leigh Wanell entwickelten. Das Drumherum, das dazu konstruiert wurde und zudem den Hintergrund des perfiden Serienkillers klären soll, erweist sich dann auch als Schwachpunkt der Inszenierung. Zum einen nimmt die recht konservativ erzählte Kriminalstory der beiden Polizisten auf der Jagd nach dem Täter recht oft Spannung aus der Geschichte. Nur an wenigen Stellen, beispielsweise als die beiden Detectives endlich mal eine heiße Spur haben, zieht auch hier die Spannung an.

Seltsamerweise verfehlen auch die anderen Todesfallen, die dem Zuschauer präsentiert werden, teilweise ihr Ziel. Sie wollen uns die Skrupellosigkeit und Perversion des Mörders vor Augen führen, entfalten jedoch aufgrund der Tatsache, dass wir die Opfer kaum kennen lernen, keine besonders hohe emotionale Wirkung. Ein weiteres Problem ist, dass den beiden Machern beim Schreiben des Finales der Plot teilweise entgleitet. In dem genreüblichen Bemühen, den Zuschauer am Ende zu überraschen, warten sie zwar mit einer verblüffenden Pointe auf, deren Preis aber eindeutig zu hoch ist: Die Logikfehler häufen sich und die Plausibilität der Geschichte wird beschädigt.

Dennoch ist Saw ein eindrucksvolles Debüt: Der Film entwickelt über weite Strecken mit relativ sparsamen Mitteln eine nervenzerreißende Spannung. Die gesamte Grundstruktur der Geschichte wirkt angenehm unverbraucht – bei der Menge der Psychothriller auf dem Markt eine nicht zu unterschätzende Leistung. Zudem dürfte er bei dem einen oder anderen Kinobesucher, der auf Filme ein wenig mehr als nur ein paar Gedanken verschwendet, durchaus einen zutiefst beunruhigenden Beigeschmack hinterlassen. Denn es stellt sich die Frage, was eigentlich den Reiz derartiger Filme ausmacht. Offenbar scheint es ein nicht zu unterschätzendes voyeuristisches Interesse am Leid anderer Menschen – und seien sie noch so archetypisch stilisiert – beim Zuschauer zu geben. Das macht uns zu heimlichen Komplizen des Puzzlemörders. Eine wenig angenehme Erkenntnis…

Darsteller:
Leigh Whannell – Adam
Cary Elwes – Dr. Lawrence Gordon
Danny Glover – Detective David Tapp
Ken Leung – Detective Steven Sing
Dina Meyer – Kerry
Mike Butters – Paul
Paul Gutrecht – Mark
Michael Emerson – Zep Hindle

Regie:
James Wan

Drehbuch:
Leigh Whanell, James Wan

Kamera:
David A. Amstrong

Musik:
Charlie Clouser

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